Das Paradebeispiel des modernen Theaters – Rezension zu „ESTHER“

Das Tanz-Theaterstück „Esther“ vermittelt einen guten Eindruck davon, was man unter „modernem Theater“ verstehen kann. Mit vielen abstrakten Eindrücken und Tänzen übermitteln die fünf Darsteller/innen – allesamt professionelle Tänzer/innen mit unterschiedlichen Hintergründen – eine klare Aussage – und das, ohne auch nur ein einziges Wort zu sagen!

Dem Zuschauer werden die fünf Darsteller/innen am Anfang des Stückes alle mehr oder weniger einzeln vorgestellt. Während anfangs nur ein projiziertes Bild eines Kindes, das den jeweiligen Darsteller/innen mal mehr und mal weniger ähnlich sieht, gezeigt wird, wird danach von allen eine Emotion anhand eines ersten Tanzes dargestellt. Diese spiegelt jeweils die Aussage des Bildes wider, auf dem die Kinder zum Beispiel eine Schuluniform oder einen Anzug tragen. Die dazu passende Musik – bestehend aus eher befremdlich und gleichzeitig dramatisch klingenden Tönen – unterstreicht den vermittelten Eindruck. Als Zuschauer wird einem schnell klar: Die „Kinder“ fühlen sich unwohl.

Falls man das schon nicht davor getan hat, kommt spätestens zu dem Zeitpunkt, an dem eine Tänzerin mehrere Sekunden lang schreit und sich regelrecht auf dem Boden wälzt, die Frage nach dem Sinn des Ganzen auf. Doch – auch wenn dies von Beginn an nicht ganz klar ist – ist dieser sehr wohl vorhanden. Denn die Darsteller/innen bringen das Bild des in schicke Klamotten gezerrten Kindes derart überzeugend rüber, dass man sich selbst unwohl fühlt.

Nach einigen Minuten und vielen perfekt einstudierten Tanzchoreografien ziehen sich die ersten Darsteller/innen zum ersten Mal um. Doch das nicht etwa hinter dem Vorhang, wie man es vom „klassischen“ Theater kennt, sondern mitten auf der Bühne. Auch das verstärkt das eigene Gefühl der Beschämtheit, des Unwohlseins.

Auch wenn das Bild fünf halbnackter Menschen, die zeitweise regungslos vor einem stehen, sicherlich befremdlich ist, wirken sie zufriedener. Sie sind vorerst vom Zwang befreit.

Doch das bleiben Sie nicht. Nach und nach ziehen sich die fünf andere Klamotten, die die ganze Zeit am Bühnenrand gelegen haben, an, in denen sie kaum glücklicher aussehen.

Ganz im Gegenteil, das Bild des Zwanges, das durch weitere helle Schreie dargestellt wird, versetzt vielleicht den ein oder anderen in seine eigene Kindheit zurück.

Nach einer Weile bekommt man das Gefühl, mittlerweile das volle Ausmaß der gebotenen Emotion genutzt zu haben. Man will nicht mehr. Doch genau das will das Stück. Mit noch mehr immer weniger runden (dabei aber nicht schlechteren!) Tänzen wird der Zuschauer ein Stück weit gequält. Doch – wie man es mittlerweile erwartet – hört die Qual nicht auf, auch wenn mit zwischendurch angenehmer wirkenden Outfits Hoffnung darauf gemacht wird.

Als „angenehme“ Abwechslung verschwinden vier der Darsteller/innen kurz hinter dem Vorhang, nur um dann wieder herauszukommen, mit einer übergroßen aus Papier bestehenden Gesichtsmaske, die das Gesicht des fünften Darstellers abbildet.

Hierzu gibt es wohl bei weitem mehr als nur eine Aussage. Mobbing? Werden alle nach und nach verrückt?

Mit dieser eher offengelassenen Frage nähert sich das fünfzigminütige Stück mehr und mehr seinem Ende. Ohne, dass irgendetwas passiert?

Wer sich das zwischenzeitig gefragt hat, wird jedoch nicht enttäuscht. Kurz vor Ende folgt für die fünf dann doch noch die große „Befreiung“. Langsam ziehen sie sich zum wiederholten Mal aus. Und zwar komplett. (Natürlich sind die Darsteller/innen nicht wirklich nackt, sie tragen eine weitere Schicht hautfarbener Unterwäsche.)

Mit diesem für die hauptsächlich jungen Zuschauer sehr ungewohnten Bild verlassen die fünf schließlich die Bühne, die Paare abgelegter Kleidung in sauberen Stapeln darauf verteilt.

Spätestens einige Sekunden danach kommt wieder die Frage der eigentlichen Aussage auf. Und auch diese wird einem nicht direkt gegeben. Anhand der Weise, wie jeder Zuschauer dargestellte Emotionen aufgefasst hat, muss er sie sich selbst bilden.

Sind eine Uniform oder für Kinder untypische Kleidung nun etwas Schlimmes? Oder ist es letzten Endes egal, was wir tragen, da wir ja eh alle Menschen sind und mit unseren mehr oder weniger gleichen Körpern alle dieselbe Uniform tragen?

Mit diesen und weiteren Fragen wird man beim Verlassen der Vorstellung alleingelassen und findet die Antwort vielleicht erst einige Zeit später.

Das Stück ist ohne Frage von Anfang bis Ende interessant. Gerade für Menschen, denen das moderne Theater bisher eher ein Fremdwort war, ist das Stück wohl besser als jedes Wörterbuch.

Ob man es am Ende mag oder nicht, muss man wie vieles andere selbst entscheiden. Es ist gut möglich, dass sich der Eindruck der unfassbaren Übertreibung, der Sinnlosigkeit bis zum Ende und noch weiter hält. Vielleicht verlässt man das Theater aber auch nachdenklich, positiv überrascht.

Vielmehr beeindruckend als nur überraschend sind die Tänze der Darsteller/innen. Die perfekt einstudierten und stets abwechslungsreichen Choreografien vervollständigen das Bild des modernen Theaters.

Trotzdem bleibt ein Stück weit der Wunsch, doch noch mehr zu erfahren. Denn so sehr die Tänze auch für sich sprechen, eine klarer formulierte Aussage wäre trotzdem schön. Manchmal bekommt man den Eindruck, das Stück verliert sich in sich selbst und dreht sich im Kreis. Auch wäre es interessant gewesen, den Zusammenhang zum Namen des Stückes („Esther“) zu erfahren, der eher unklar blieb. Genauso fehlt der Zusammenhang zur Beschreibung des Stückes, die den Fokus auf Gemeinschaftsgefühl und Gruppen legt, obwohl der Hauptfaktor doch eher die Uniform und die Kleidung war.

Auch ist es fraglich, ob so viel (wenn auch keine echte) Nacktheit bei einem Stück für Jugendliche über dreizehn Jahren wirklich sein muss.

Alles in allem war ich persönlich aber positiv überrascht und habe noch einige Tage interessiert über das Stück nachgedacht.

Rafael, ehem. Jg. 8

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