Helene Lange – Kämpferin für die Bildung von Frauen

„Deshalb wollten wir auch in Deutschland eine Mädchenschule unter Frauenleitung und ausschlaggebendem Fraueneinfluß in Unterricht und Erziehung – unter Mitwirkung männlicher Lehrkräfte.“

Helene Lange

Helene Lange (1848-1930) war eine der profiliertesten und erfolgreichsten Vertreterinnen der deutschen Frauenbewegung. Anhand einiger ganz kurzer Passagen aus ihren Lebenserinnerungen (Berlin 1921) möchte ich zeigen, wie kämpferisch und scharfzüngig, aber auch wie humorvoll sie war, obwohl sie im Eingangsbereich der Schule so streng dreinblickt.

Zunächst habe ich einen kurzen Kommentar über ihre ‚Jungmädchenjahre’ ausgewählt, die bis zu diesem Zeitpunkt bei Helene untypischerweise eher fortschrittlich und anregend verlaufen waren. Nun aber kommt sie vorübergehend – etwa 16jährig – zu ihrem Großvater.

„Über die folgende Zeit kann ich kurz hinweggehen: Ödland, Kleinstadtleben in der Heimat, wo ich bis auf weiteres das Dasein einer Haustochter im großväterlichen Hause führen sollte. Das bedeutete: ein wenig Haus- und Handarbeit, etwas Klavierspielen, einen Spaziergang durch den Schlossgarten und Kaffeevisiten, bei denen häufig der rote kalte Pudding mit weißer oder der weiße mit roter Sauce das wesentliche Unterscheidungsmerkmal bildete. Der geistige Bedarf wurde durch eine gründliche Erörterung bevorstehender oder schon erledigter Bälle oder sonstiger gesellschaftlicher Veranstaltungen, Verlobungen oder Verlobungsmöglichkeiten gedeckt. Wenn man bedenkt, daß so oder ähnlich das Dasein ungezählter junger weiblicher Wesen in der ‚Wartezeit’ ausgefüllt wurde, kann einen noch nachträglich das Grauen ergreifen bei dem Gedanken an die Unsumme vergeudeter Energien und Wirkungsmöglichkeiten.“ (S. 87/88)

Über Umwege ergreift Helene Lange den Beruf der Lehrerin und wird zu einer leidenschaftlichen Kämpferin für die Bildung der Frauen an höheren Schulen und später an Universitäten – damals noch ein Traum in weiter Ferne. Vor allem setzt sie sich aufgrund der massiven männlichen Vorurteile für die Bildung von Frauen ein.

„1873 war vom Kultusminister Falk eine Konferenz zur Beratung über das mittlere und höhere Mädchenschulwesen nach Berlin berufen worden, welches nach den Beschlüssen der Konferenz einseitig männlich orientiert sein sollte. Männer allein wurden zu Leitern berufen, auch die Leitung der Oberklassen blieb so gut wie ausschließlich in ihrer Hand. Zwischen den beiden Vorschlägen, die Lehrerinnen an den Oberklassen für ‚zulässig’ (!) oder für ‚unentbehrlich’ zu erklären, wurde nach Debatten von fast tumultartigem Charakter durch das zu nichts verpflichtende ‚wünschenswert’ ein Kompromiß geschaffen. Praktische Folgen hat dieses ‚wünschenswert’ nicht gehabt.“ (S. 128)

Lange verweist mehrfach auf den Widerspruch, dass dieselben Männer, die das weibliche Geschlecht wörtlich für „inferior“, „zu jeder Form logischen Denkens unbegabt’“ und „urteilsunfähig’“ halten, gleichzeitig aber daran festhalten, diese ausschließlich und uneingeschränkt unterrichten zu wollen.

Ansprache der Namensgeberin beim Namensfest am 2. Februar 1927: Umbenennung der Schule in Helene Lange Oberrealschule

„War dies nur spezifisch deutsch? Oder lagen die Dinge andernorts ebenso? Ich fing an zu vergleichen. Von Amerika wußte ich, daß Knaben- und Mädchenbildung genau die gleiche sei, und dass die Zahl der Lehrerinnen die der Lehrer weit überstieg. In Frankreich hatte man seit 1871 die lebhafte Empfindung, dass die Hebung des ganzen Volkes mit der Hebung seiner Frauen in engstem Zusammenhang stehe. Diese Erkenntnis hatte ein Gesetz zur Folge, das den höheren Knabenschulen gleichwertige Mädchenlyzeen zur Seite stellte. In England war schon Anfang der 70er Jahre das Frauenstudium Tatsache geworden. Die Mädchenschulen standen ausnahmslos unter Leitung von Frauen und der Unterricht durch Frauen überwog. (…)

Wie erklärte es sich, daß nur in Deutschland diese Gewohnheit herrschte, Mädchen durch Männer erziehen zu lassen? Gerade in Deutschland, wo man soviel Wesens von der ‚weiblichen Eigenart’ machte, ein Begriff, welchen die Mädchenschulpädagogen stets im Munde führten. Aber sie verstanden etwas ganz anderes darunter als wir. Es lag ihnen der Wunsch fern, die starke, gestaltende, ihrer selbst sichere Frau sich neben dem Manne entwickeln zu lassen. Ihnen war die sich anschmiegsame, rein empfangende, schutzbedürftige, lenksame, sich unterwerfende Frau der Inbegriff weiblicher Eigenart. Die Frau eben ‚qui est faite spécialement pour plaire à l’homme’.

Deshalb wollten wir auch in Deutschland eine Mädchenschule unter Frauenleitung und ausschlaggebendem Fraueneinfluß in Unterricht und Erziehung – unter Mitwirkung männlicher Lehrkräfte.“ (S. 131 ff.)

                                                                                                                                                                                                       Sabine Hering, ehemalige Schülerin des HLG;

                                                                                                                                                                                                            Rückfragen unter hering@kulturareale.de
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