‚Ich bin Franz‘

Auch wenn dieser bahnbrechende Erfolg sich nicht nur durch Bilder transportieren lässt, so wollen wir Sie und euch dennoch an diesem vergangenen magischen Theaterabend teilhaben lassen.

Die Abiturientinnen und Abiturienten des aktuellen S4 haben sich im Rahmen des Deutschunterrichts seit Herbst 2022 mit Georg Büchners „Woyzeck“ auseinandergesetzt, da das Drama in diesem Jahr verpflichtende Abiturlektüre ist. Ein wunderbarer Zeitpunkt, um das Dramenfragment auch im Theaterunterricht zur Grundlage zu machen. So haben auch die beiden Theaterkurse Böntgen und Rodríguez seit dem Spätsommer mit der parallelen Arbeit am Projekt begonnen und währenddessen mit Brecht’schen Mitteln verfremdet, minimalistisch gekürzt, was Büchner schon mit wenig Handlung ausstattet, im Sinne der Postdramatik Partycharakter verliehen, sich erst von Grotowskis Theorie einen Schrecken einjagen lassen und dann andere mit seinen Methoden das Fürchten gelehrt. Die Rollen des spärlichen Figurenarsenals wurde gedoppelt, vervierfacht, vervielfältigt und reduziert: welche Anteile von Woyzeck schlummern eigentlich in mir? All diese Fäden des Arbeitsprozesses wurde während eines langen arbeitsintensiven Probenwochenendes zusammengeführt und an einem aufregenden Probentage geübt. Dass der Rausch der Emotionen sich so auch auf Zuschauende übertragen ließ, davon zeugen die (behutsam gekürzten) Rezension von Lonneke (S4), Silvy (S2) und Gioia (S2) sowie die Bilder, die Ilsa (S2) und Eva (S2) netterweise fotografiert und bereitgestellt haben. Gleichermaßen findet sich das Plakat der Aufführung gestaltet durch Romy (S4).

Unser großes Dankeschön gilt unseren Spielenden, die sich mit viel Courage, Herzblut und einiger privater Zeit in dieses Spielvergnügen hineinbegeben haben. Eurer Arbeit ist es zu verdanken, dass ein Spendenbetrag von 270,- € für die Menschen zusammengekommen ist, die von den Erdbeben in Syrien und der Türkei betroffen sind. Wir konnten das Geld gesplittet an Ärzte ohne Grenzen und Hanseatic Help überweisen. Herr Serbser hat es als UNESCO-Koordinator des HLGs großartigerweise möglich gemacht, dass dieser Betrag um 200,-€ aufgestockt wurde für denselben Zweck im Rahmen der „Deutschland hilft“-Projekte.

Unser Dank gilt außerdem den Schulleitungen des Eimsbüttelers Modells, des HLGs und des Kaifus, Herrn Kai Müller und seinem Technikteam, die mit ihrer Unterstützung dazu beigetragen haben, dass dieser Abend unvergessen bleibt.

Liebe Abiturientinnen und Abiturienten, trotz der ganzen Arbeit war es uns ein Fest, mit euch zusammen kreativ zu werden und so möchten wir uns zu guter Letzt für euer Vertrauen bedanken. Wir wünschen euch von Herzen, dass ihr auch bei euren zukünftigen Performances genauso brillieren könnt.

Dorothee Böntgen (HLG) und Josefa Rodríguez (Kaifu)

Rezensionen 1 von Lonneke:

Seit Mitte Februar sorgte im Foyer des Oberstufenhauses ein Plakat mit einer Erbsenkonserve für Aufsehen. Nicht von einem famosen Zartgemüse war dort die Rede, sondern die Dose trug den schlichten Slogan „Ich bin Franz“. Beworben wurde die Theaterproduktion der Oberstufenkurse des S4 von Frau Böntgen (Helene-Lange- Gymnasium) und Frau Rodriguez (Gymnasium Kaiser-Friedrich-Ufer), deren Aufführung am 01.03.2023 stattfinden sollte.

Die Erbsenmetapher – für die Schülerinnen und Schüler des S4 war sie offensichtlich: Es würde um das Schicksal des einfachen Soldaten Woyzeck gehen, der – determiniert von äußerlichen Ursachen und existenziellen Nöten – den Bezug zur Realität verliert und letztendlich selbst zum Mörder wird; dies war das Thema des Deutschunterrichts im dritten Semester. […] Der Anfang der schulischen Inszenierung überraschte: Ein rund zweiminütiger Tanz aller Darstellenden; nicht klassisch, sondern sehr individuell, wie eine durchgedrehte Gruppe auf Drogen. Höhen und Tiefen wurden getanzt, runde und eckige Formen, Solodarbietungen und Interaktionen.

Die danach folgenden Szenen ließen sich gut dem aus dem Unterricht bekannten Dramenstoff zuordnen. Zwar wurden die Szenen verfremdet, dies geschah aber jeweils erkennbar, um bestimmte Verhaltensweisen besonders zu unterstreichen und herauszustellen. So trug Marie, Woyzecks Geliebte, statt Ohrringen, die sie von ihrer Affäre dem Tambourmajor geschenkt bekommen hat, Geldscheine und die Budenlichtervolk-Szene spielte auf dem Hamburger Dom. In anderen Szenen wurden durch die Vervielfachung von Rollen unter anderem die Demütigung Woyzecks, sein Schicksal als Versuchsobjekt der Medizin und sein Abdriften in Wahnvorstellungen verdeutlicht.

Es war ein Abend im Wechselbad der Gefühle. Das Publikum war hin- und hergerissen zwischen Gelächter und Ekel, als drei „Woyzecks“ über den Boden der Aula krochen, Erbsendosen öffneten und sich deren Inhalt auf immer groteskere Weise in den Mund beförderten. Auch ging ein Raunen durch die Menge, als ein Metzgermesser auf den Boden fiel, im Parkett stecken blieb und gefährlich hin- und her wackelte.[…] Im Verlauf des Abends wurden die bekannten Szenen des Stücks um persönliche Elemente der Darstellenden ergänzt – ganz im Zeichen des biografischen Theaters, das zuvor Schwerpunkt der spielpraktischen Prüfung der beiden Theaterkurse war. Hier wurden persönliche Probleme der Schauspielerinnen und Schauspieler und Ereignisse ihres Erwachsenwerdens theatralisch verfremdet und dargestellt. Alles mündete nach etwa 90 Minuten in einem laut von allen Darstellenden gerufenen „Ich bin Franz“.

Das Anliegen der Theaterkurse war es, zugängliche und verständliche, aber zugleich spieltechnisch anspruchsvolle Szenen zu erarbeiten. Der Applaus des Publikums und die Rückmeldungen in den Tagen nach der Aufführung bestätigen den Eindruck der Darstellenden, dass ihnen dies recht gut gelungen ist. Nach dem Aufwand eines Probewochenendes und des kompletten Nachmittags vor der Aufführung waren alle nur noch geschafft und glücklich, dass alles im Endeffekt so gut geklappt hat.

Dabei gilt ein besonderer Dank den Schülern und Herrn Kai Müller vom Kaifu, die sich um die technische Begleitung gekümmert haben und vor allem den beiden Theaterlehrerinnen Frau Böntgen und Frau Rodriguez, die viel (notwendige) Geduld mit uns hatten, und denen die Erleichterung und Freude über das schöne Ergebnis unserer Kursarbeit anzusehen war.

Rezension 2 von Silvy:

Aufführungen in der Schule? Das sind doch nur Trauerveranstaltungen, wo begeisterte Eltern ihren nervösen Kindern zujubeln, während alle anderen dem Fremdscham erliegen.

Nicht bei den Theaterkursen Jahrgang 12 des HLG und Kaifu.

Am 1.3. fand die Premiere ihrer Inszenierung von Georg Büchners „Woyzeck“ unter dem Namen „Ich bin Franz“ in der EM-Aula statt.[…] muss ich natürlich noch die grandiosen Tanzeinlagen loben, die richtig angeregt haben, mitzutanzen, wozu auch am Anfang motiviert wurde, dem allerdings niemand aus dem Publikum nachgekommen ist. Vielleicht hätte man ein paar Imposter unter den Zuschauenden platzieren können, die anfangen, damit niemand sich komisch fühlt, dem Tanzbedürfnis nachzukommen.

Falls du hier das jetzt liest und dir denkst: Ach Mist, leider habe ich das verpasst, und die Fomo präsent ist, kannst du ja eine Petition starten, um das Ensemble davon zu überzeugen, eine weitere Vorstellung zu veranstalten. (Im Abistress eher unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich:) Die Messlatte für die jetzigen Theater 11er liegt auf jeden Fall sehr hoch, was eventuell für manche etwas Druck erzeugen könnte.

Mir ist zu Ohren gekommen, dass eine ähnlich coole Tanzeinlage gewünscht ja sogar erwartet wird, wie zu Sam Smiths Unholy… Mal sehen worauf sich die Zuschauenden dann nächstes Jahr freuen können.

Rezension 3 von Gioia:

[…] Am eindrucksvollsten war dabei aus meiner Sicht die Szene, in der die Ernährungsweise Woyzecks im Rahmen des ärztlichen Experiments dargestellt wurde. Hierbei verschlang Woyzeck, welcher vervielfacht dargestellt wurde, Unmengen an Erbsen und wälzte sich in diesen auf der gesamten Bühne. Dadurch wurde einerseits purer Ekel im Zuschauer ausgelöst, während gleichzeitig das Elend sowie der Missbrauch Woyzecks von seinen Befehlshabern prägnant dargestellt wurden.

Der Gegenwartsbezug zu den gesellschaftlichen Folgen der dargestellten Ausgrenzung wurde am Ende des Stückes aufgegriffen, indem die sogenannte FOMO (the fear of missing out), die Angst nicht Teil unserer sich ständig verändernden Gesellschaft zu sein, durch einen Bezug zu den sozialen Medien dargestellt wurde. Um der Aktualität dieser Thematik entgegnen zu können, endet das Stück mit der Aufmachung der unterschiedlichen zukünftigen Lebensziele der Darstellerinnen, welche kurz vor ihrem Schulabschluss stehen. Während einige ihre Post-Abi-Phase mit Milchshakes zelebrieren wollen, sehen sich andere im Urlaub auf Bali, andere wiederum auf dem Campus einer Uni, um Psychologie zu studieren.

Durch die dadurch entstandene Aufmachung der Pluralität und Individualität unserer Gesellschaft, wird die eben noch dargestellte Angst, wie Woyzeck von der Gesellschaft ausgegrenzt zu werden, durch die Akzeptanz gegenüber der Heterogenität unserer Schülerschaft entkräftet. Das von Büchner hinterlassene düstere Fragment erhielt so ein hoffnungsvolles und lebensbejahendes Ende. […]

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